Diabetes mellitus („Zuckerkrankheit“) betrifft rund 11% der deutschen Bevölkerung und bleibt oft lange unentdeckt oder unzureichend behandelt. Es ist jedoch extrem wichtig, dass der Blutzuckerspiegel gut eingestellt ist, denn die giftigen Stoffwechselprodukte, die durch den Diabetes entstehen, schädigen Nervengewebe und Blutgefäße. Das führt zu Wundheilungsstörungen, Infektionen können sich ausbreiten, Bagatellverletzungen können zu chronischen Wunden werden mit manchmal schwerwiegendem Verlauf. Bei jedem dritten bis vierten Betroffenen sind Beine und Füße besonders gefährdet: Diese gravierende Folgeerkrankung des Diabetes mellitus bezeichnet man als Diabetisches Fußsyndrom (DFS). Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG) und die AG Diabetischer Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) beantworten anlässlich des Gefäßtages die wichtigsten Fragen zum Thema:
Wie entwickelt sich das Diabetische Fußsyndrom?
Ob, wann und wie ausgeprägt sich ein Diabetisches Fußsyndrom entwickelt, hängt unter anderem davon ab, wie lange der Diabetes besteht, wie gut er eingestellt ist und ob sich eine Polyneuropathie entwickelt hat. Diese Nervenschädigung führt dazu, dass man Temperatur, Druck und Schmerz schlechter oder gar nicht mehr wahrnimmt und kleine Verletzungen und Entzündungen nicht bemerkt. Eine weitere Folge der Nervenschädigung ist trockene, oft rissige Haut, die anfällig ist für Infektionen. Zudem verändert die Polyneuropathie Form, Funktionalität und Stabilität der Füße. Die Fehlstellungen führen zu Fehlbelastungen, es entstehen Schwielen, die Füße verformen sich: häufig entwickeln sich Hammer- oder Krallenzehen. Druck und Scherkräfte können unter den Schwielen verborgene Wunden verursachen, die unbemerkt bleiben. Nicht selten sind zusätzlich die Schlagadern (Arteriopathie) geschädigt – verkalkt und verengt. Die Durchblutung ist gestört, so dass das Gewebe nicht ausreichend mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Auch das bleibt wegen der Polyneuropathie lange verborgen. Dringen in dieser Situation Bakterien durch kleine Wunden am Fuß in die Tiefe, kann es zu einer massiven, tiefen Infektion kommen, die schlimmstenfalls nicht anders zu beherrschen ist als mit einer Amputation des betroffenen Körperteils.
Wie beugt man dem Diabetischen Fußsyndrom vor?
Menschen mit Diabetes mellitus und Nervenschäden sollten deshalb ein besonderes Augenmerk auf ihre Füße haben und diese täglich inspizieren. Alle 4–6 Wochen sollten sie zur medizinischen Fußpflege eine podologische Praxis aufsuchen. Wenn Nerven- und Gefäßschäden vorliegen, übernimmt das die Krankenkasse. Im Rahmen der gesetzlichen Behandlungsprogramme (Disease Management Programm, DMP) erhält jeder Mensch mit Diabetes zudem einen jährlichen „Fuß-Check“: In der koordinierenden hausärztlichen oder diabetologische Praxis werden die Füße gründlich auf Nerven- und Gefäßschäden sowie Fehlbelastungen untersucht. Fallen dabei Veränderungen auf, müssen Schritte zur Verhinderung von Wunden am Fuß eingeleitet werden wie beispielsweise die Verordnung von Spezialschuhen mit angepassten Einlagen.
Wie behandelt man das Diabetische Fußsyndrom?
Sobald Wunden an den Füßen festgestellt werden, sollte die Behandlung in einer auf das Diabetische Fußsyndrom spezialisierten Einrichtung erfolgen. So hat es der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für das Disease Management Programm (DMP) „Diabetes mellitus“ festgelegt. In diesen spezialisierten Zentren erfolgt eine im Team von Spezialistinnen und Spezialisten aus den Bereichen Diabetologie, Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin, Chirurgie, Wundmanagement, Orthopädietechnik und Orthopädieschuhtechnik abgestimmte, an Leitlinien orientierte strukturierte Behandlung; beispielsweise die wirksame Entlastung des Fußes und angemessenes Wundmanagement. Auch wird das Gefäßsystem gründlich untersucht. Werden relevante Durchblutungsstörungen festgestellt, kann eine Gefäßrekonstruktion notwendig sein – je nach Ausmaß der Durchblutungsstörung mittels Katheter oder durch eine Bypass-Operation. Manchmal muss der Fuß chirurgisch versorgt werden, um seine Funktionalität zu erhalten oder zu verbessern. Dies umfasst Eingriffe an den Sehnen und Knochen ebenso wie das Entfernen von infiziertem oder abgestorbenem Gewebe. Eine anschließende kompetente Versorgung mit Hilfsmitteln in enger Abstimmung mit Orthopädietechnik und Schuhmacherhandwerk sowie den nachversorgenden Disziplinen und Professionen ist wesentlich, um weitere Komplikationen zu vermeiden.
Wie können Amputationen verhindert werden?
Leider ist es nicht in allen Fällen möglich, Amputationen zu verhindern. Infizierte oder abgestorbene Zehen bedeuten Lebensgefahr: Wenn sich die Entzündung auf den ganzen Körper ausbreitet, kann das tödlich enden. Ist die Infektion nicht anders beherrschbar, ist die Amputation das letzte Mittel. Die frühzeitige Behandlung in spezialisierten Teams aus verschiedenen Fachdisziplinen und Berufsgruppen senkt jedoch nachgewiesenermaßen die Zahl und das Ausmaß von Amputationen. Sich dort behandeln zu lassen, senkt also das Risiko, Zehen oder gar den ganzen Fuß zu verlieren. Vor einer Amputation hat man zudem Anrecht auf eine kompetente Zweitmeinung. Dafür stehen im Umgang mit dem Diabetischen Fußsyndrom erfahrene Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung, die von der Kassenärztliche Vereinigung hierfür zugelassen sind. Die Anzahl hoher Gliedmaßenamputationen (Unterschenkel oder höher) ist in Deutschland dank dieses berufs- und fächerübergreifenden Ansatzes zwar rückläufig, am besten ist jedoch, sie müssen gar nicht erst erwogen werden. Deshalb, achten Sie auf Ihre Füße!